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Otto Böttger – Entlassen auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933

Otto Böttger – Entlassen auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933

von Heinz-Georg Clös

Otto Böttger, der nie Beamter war, wurde 1933 auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Arbeiter der Stadt Dillenburg entlassen. Ein großer Teil der städtischen Unterlagen zu seiner Person ist nicht mehr vorhanden, da sie 1947 zu einer eigenen Akte für ein Wiedergutmachungsverfahren zusammengefasst wurden. Diese Akte ist leider nicht mehr auffindbar. Dennoch lässt sich sein Lebenslauf sehr gut rekonstruieren, da die Familie Dokumente (zum Teil als Abschriften) und Fotografien aufbewahrte (jetzt: Privatsammlung Clös).1 Diese lassen sich durch einige verstreut in den Akten des Stadtarchivs Dillenburg vorhandene Belege ergänzen.

Otto Böttger, ohne Datum (Privatsammlung Clös)

Hier soll nun das Leben dieses Mannes beschrieben werden, der wegen seiner Mitgliedschaft zur SPD und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold nicht nur seine Arbeit verlor, sondern dessen Familie ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Otto Böttger, mit vollen Namen Paul Otto Böttger, kommt am 2. Dezember 1897 in Oberrengersdorf in der Ober-Lausitz unehelich zur Welt. Ab dem 1. April 1912 ist er als Gärtnerlehrling tätig, wechselt aber mehrfach den Arbeitgeber. Ein Beleg für den Abschluss der Lehre ist nicht vorhanden. In seinem Arbeitsbuch wird er 1916 als Gärtnereigehilfe bezeichnet. Anschließend muss er zum Militärdienst, aus dem er im Januar 1919 wieder entlassen wird. Böttger nimmt an mehreren Kämpfen in Frankreich teil und erhält Ende März 1918 einen Lungenschuss. Am 6.4.1918 wird ihm das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen. Nach Kriegsende arbeitet er als Gärtner in Berlin-Zehlendorf, ist aber gezwungen, Groß-Berlin aufgrund der Verfügung eines Demobilmachungsausschusses im Juli 1920 als Auswärtiger verlassen. Danach kehrt er wieder in seine Heimat zurück.

Diese verlässt er später und findet in Dahl, Kreis Hagen, Beschäftigung, anschließend bei der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk A. G. Essen in Wissen. Während der Inflationszeit liegt er im Krankenhaus und erhält von Arbeitskollegen Spenden im Wert von insgesamt 660 Millionen Mark. Von April 1924 bis Februar 1925 ist er für RWE in Kreuztal tätig und danach als Arbeiter für die Firma H. A. Falkenhahn, Kreuztal, die auch in Dillenburg eine Niederlassung hat.

In Dillenburg ist er ab dem 22. September 1924 gemeldet,2 arbeitet jedoch schon seit dem 16.03.1924 für die Firma August Herwig Puddelwerk als Magazinarbeiter und Gärtner. Er wohnt zunächst in der Marbachstraße 48 bei der Familie Roth. Am 1. November 1924 heiratet er die dort lebende Frieda Auguste Roth, die einen Sohn mit in die Ehe bringt.

Nach der Geburt des Karl Fritz Böttger am 26.04.1926 zieht die Familie in die Marbachstraße 109. Ein Einblick in die Lebensverhältnisse der Familie gibt der Mietvertrag – für zwei Erwachsene und zwei Kinder stehen ein Zimmer und eine Küche zur Verfügung, zusätzlich ein Keller und ein Teil des Speichers. Die Miete dafür beträgt 12,- Mark monatlich. Die Tätigkeit bei Herwig beendet er auf eigenen Wunsch am 4. Juni 1927. Er findet dann Anstellung bei der Stadt Dillenburg und übt Meliorations- und sonstige Arbeiten in Feld und Flur aus. Der Wochenlohn dafür beträgt 26 RM, nach Abzug der Kranken- und Invalidenversicherung verbleiben für den Unterhalt der Familie 23,35 RM.

Für die Jahre 1924-1933 existiert ein Kontobuch, aus dem die gesamten Einkünfte der Familie ersichtlich werden. Erst von 1926-1931 überschreiten die wöchentlichen Einnahmen netto die 30 Mark-Grenze. 1932 und 1933 sinken sie bei Arbeitslosigkeit auf ca. 18 Mark, bei Beschäftigung belaufen sie sich auf ca. 27 RM.

Ein Schreiben im Stadtarchiv beleuchtet dazu die Situation, in der sich nicht nur Böttger, sondern auch viele andere Arbeiter befinden, die infolge der wirtschaftlichen Lage zu städtischen Aufgaben herangezogen werden:

“Dillenburg, den 12. November 1927
Gesuch des städtischen Arbeiters Otto Böttger

Seit 31. Mai d. Js. bin ich als Arbeiter in den landwirtschaftlichen und Obstbauanlagen der Stadt und insbesondere seit 1. August d. Js. bis jetzt (bei) der Instandsetzung der künstlichen Wasserläufe beschäftigt und zwar in den Wiesendistrikten Sandgrube, Marbach, Meerborn, Nanzenbach und Dietzhölze. Mit ganz kleinen Unterbrechungen (hat) während dieser Zeit Regenwetter geherrscht, daß die fraglichen Arbeiten bei Nässe und einem (hohen) Wasserstand ausgeführt werden mußten. Mein Schuhwerk ist durch das Arbeiten im Wasser (und) in den durchnäßten Wiesen brüchig und unbrauchbar geworden. Andauernd mußte ich (in) nassen Strümpfen und Kleidern arbeiten. Die Angehörigen, die mir wegen zu großer Entfernung von zu Hause das Mittagsessen zur Arbeitsstätte bringen mußten, trugen in den nassen Wiesen und Wegen durchnäßte Strümpfe davon.

(Ich) bin nun eines Paar neuer starker Schuhe dringend benötigt, wozu mir aber die Mittel fehlen. Mit schlechtem Schuhwerk kann ich unmöglich bei den Herbst- und Winterarbeiten, (die) noch bei nassem Boden und feuchter Witterung bevorstehen, die Arbeiten in den Wasserläufen etc. leisten.

Den Magistrat möchte ich bitten, mir in Anbetracht der besonders schweren und ungünstigen Arbeiten und bei Berücksichtigung meiner bedürftigen Lage geneigtest ein paar neue ….. Schuhe zu bewilligen.

Ich bitte noch zum Beweise meiner Angaben Herrn Oberflurschütz Stunz zu hören. Dieser wird sie bestätigen können.

Otto Böttger”3

Am 2. Juli 1928 kommt mit Ernst Böttger das zweite gemeinsame Kind zur Welt.

Im September dieses Jahres erledigt Böttger Wegearbeiten mit Erwerbslosen am Weinberg. Er ist wahrscheinlich seit Mai 1928 fest bei der Stadt als Arbeiter angestellt. Im August 1929 beträgt sein Wochenlohn 33,51 RM netto.

Familienfoto, ca. 1930 (Privatsammlung Clös)

Seine politischen Aktivitäten werden ab 1929 erkennbar. So ist er auf dem Wahlvorschlag der SPD für die Wahlen zur Stadtverordneten-Versammlung an 14. (und letzter) Stelle vermerkt, seine Gattin ist als Unterstützerin des Vorschlags eingetragen.4 Bei einer nationalsozialistischen Versammlung im Kurhaus am 3. April soll er als Diskussionsredner gegen den Fraktionsführer der Nationalsozialisten im sächsischen Landtag Manfred vom Killinger aufgetreten sein. Am 20. Januar 1931 ist er bei der NS-Versammlung „10 Jahre Schmach und Schande“ aktiv. Hier findet er sich sogar in der Dill-Zeitung vom 22. Januar Erwähnung:

„In der Diskussion meldete sich der Sozialdemokrat Böttger, mit dem sich der Referent in seinem Schlußwort auseinandersetzte.“

Als „Böttcher“ tritt er am 18. Oktober 1931 erneut bei einer NS-Versammlung, bei der der Gaupropagandaleiter der NSDAP eine Rede hält, in Erscheinung. In dem Bericht der Dill-Zeitung vom 19. Oktober findet sich folgende Bemerkung:

„Nach der Aussprache, an der sich der Sozialdemokrat Böttcher beteiligte, dessen Darlegungen von dem größten Teil der Zuhörer mit stürmischem Gelächter quittiert wurden, und dem Schlußwort des Referenten fand die Versammlung mit dem Gesang des Horst-Wessel-Liedes ihr Ende.“

Auguste Böttger beim Heimatfest August 1933 (Privatsammlung Clös)

In diesen Jahren ist Böttger in vielerlei Hinsicht für die Sozialdemokratie tätig gewesen, wie die SPD im März 1948 in einem Schreiben an die Betreuungsstelle für politisch Verfolgte angibt:

“1. Böttger war von 1925 bis zur Auflösung der SPD in 1933 Mitglied der SPD.
2. Derselbe hat als Vorstandsmitglied in der Ortsgruppe Dillenburg den Posten des Kassierers ausgeübt.
3. Böttger gehörte dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als aktives Mitglied von der Gründung bis zur Auflösung 1933 an.
4. Böttger war Mitglied des Arbeiter-Volkschores und in diesem Vorstandmitglied.
5. Böttger hat sich als Funktionär der SPD überall, wo es erforderlich war, gegen die nationalsozialistische Weltanschauung eingesetzt und ich [sic!] in fast allen Versammlungen der NSDAP, in welchen erste Redner und Grössen der Nazipartei referierten, als Diskussionsredner aufgetreten.

Böttger war des öfteren Anpöpelungen [sic!] durch die NSDAP und deren Organe gelegentlich der Wahlkämpfe in 1932 und 1933, die zum Teil in Tätlichkeiten gegen Böttger ausarteten, ausgesetzt.
Böttger hat den Hitlergruß nie erwidert und hat deshalb, weil er nach 1933 noch seine positive Einstellung zur SPD bekundete, sich etwa ¼ Jahr lang bei der hiesigen Polizeiverwaltung melden müssen, um vielmals hintereinander zu sagen: „Heil Hitler!“
Böttger ist wegen seiner politischen Einstellung als Funktionär der SPD und seinem Beharren im Wesen der Demokratie auf Magistratsbeschluss hin, 1933 aus den Diensten der Stadt Dillenburg – er war lange Zeit mit Eifer und Fleiß als Stadtgärtner tätig – fristlos entlassen worden.
Böttger hat sich nach seiner zwangsweisen Entfernung aus städtischen Diensten mit seiner 5köpfigen Familie kümmerlich durchschlagen müssen. Später wurde er von Bekannten aus Barmherzigkeit gegen geringen Lohn zur Erhaltung seiner Familie mit Tagelöhnerarbeiten beschäftigt.
Böttger hat trotz eifriger Bewerbungen nach seiner Entlassung bei der Stadt, bei Post und Eisenbahn und gärtnerischen Betrieben keine Arbeit finden können, was aber bei einer anderen politischen Einstellung Böttgers mit Rücksicht auf seine Kenntnisse und Berufserfahrungen, durchaus möglich gewesen wäre.
Bei der Familie Böttger wurden in 1933 und später öfters Haussuchungen durch die Polizei und die Organe der SA durchgeführt und sowohl Böttger als auch seine damals leidende Ehefrau wurden nicht gerade sanft behandelt.
Böttger verwahrte Schriftstücke und Utensilien der Ortsgruppe der SPD, des Reichsbanners und des Volkschores, Organisationen, die damals verboten und aufgelöst waren. Man vermutete, dass Böttger noch heimlich für die Partei tätig war.
Böttger wäre, wenn er nicht zum Heeresdienst eingezogen worden wäre, als aktiver Kämpfer gegen das Naziregime zweifellos nach dem Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 ins Kz. gekommen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass unser Genosse Otto Böttger wie kein anderer in einer schweren Zeit die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertrat und sich bei der Bekämpfung des Nationalsozialismus vor und nach der sogenannten Machtübernahme ganz besonders verdient machte, so dass das demselben zugefügte Unrecht so schnell als möglich wieder gut gemacht wird, was seitens des gesamten Vorstandes der Ortsgruppe Dillenburg aufs Wärmste befürwortet wird.
Die vorstehenden Angaben gründen sich auf die Kenntnis eines Teiles der unterzeichneten Vorstandmitglieder, und zum anderen wurde deren Richtigkeit durch damalige Vorstandsmitglieder und alte Parteigenossen versichert.”

Dieses Schreiben wird durch mehrere Erklärungen von SPD-Mitgliedern und Nachbarn gestützt. So schreibt Otto Rink ebenfalls im März 1948:

“In all den Jahren hat er schärfsten Kampf gegen die Nationalsozialisten geführt und in Versammlungsabenden sich in der Diskussion mit Erfolg gegen die Darlegung nationalsozialistischer Weltanschauung durch Nazigrößen wie Kaufmann, Hamburg, von Killinger u. A. gewandt.
Böttger wurde auch in Ausübung seiner Tätigkeit bei Vorbereitung zur Wahl von den [sic!] Nationalsozialisten Krause in Dillenburg tätlich angegriffen.”

Während eines Wahlkampfes soll er von dem späteren kommissarischen Bürgermeister und “alten Kämpfer” Karl Opper

„gelegentlich des Anklebens von Wahlplakaten in 1933 mit ungehörigen Schimpfworten auf der Strasse belegt und dass er ihm Rache geschworen habe, wenn dies mal möglich sei. Weiter habe ich Kenntnis davon erhalten, dass er im Wahlkampf 1932 oder 1933 von den Brüdern Walter und Hermann Krause tätlich angegriffen wurde. Auch hatte ihn der damalige Ortsgruppenleiter Otto Hafer in scharfe Kontrolle genommen und entsprechende Androhungen gegen ihn getroffen“ (Schreiben des Schwagers Carl Paul Roth, 1948).

Vom 2.1. bis 8.3.1932 ist er während der Weltwirtschaftskrise arbeitslos gemeldet, ebenso vom 16.01. bis 17.03.1933, wird aber jeweils anschließend bei der Stadt angestellt. Bei den Wahlen für die Gemeindevertretung findet man Böttger auf dem Wahlvorschlag der SPD an vierter Stelle.5

Noch im Juli 1933, als alle städtischen Bediensteten schriftlich gefragt werden, ob sie Mitglied der SPD waren, zeigt sich Böttger als bekennender Sozialdemokrat:

“Dillenburg, d. 12.7.1933
An den Magistrat hier

Unterzeichneter teilt mit, daß er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei vom 1. Mai 1929 bis zur Auflösung dieses Jahr war. Letzter Beitrag ist am 30. April gehoben worden.

Otto Böttger”6

Antwort Böttgers auf Anfrage der Stadtverwaltung an ihre Angestellten und Arbeiter bezüglich früherer SPD-Mitgliedschaft (StadtA DIL, A 1, Nr. 983, Bl. 130/2)

Ein vierseitiger Fragebogen, den ebenfalls alle bei der Stadt beschäftigten Personen erhielten, ist für Böttger leider nicht mehr vorhanden, dürfte aber auch Teil der verschollenen Wiedergutmachungsakte sein.

Laut einem Lohnzettel vom 11. August 1933 beträgt sein Wochenlohn netto nur noch 26,65 Mark. Eine Notiz in den städtischen Akten vom 18.08.1933 vermerkt, dass gegen Böttger besondere Vorgänge laufen.7 Am 21.08.1933 heißt es dann in einem Dokument im Stadtarchiv:

„Durch die Entlassung von Böttger soll bei den städt. Arbeitern ein Mann eingespart werden.“8

Das Original des Entlassungsschreibens ist in den städtischen Akten nicht mehr vorhanden, aber in den Unterlagen der Familie befindet sich eine Erklärung des damaligen Bürgermeisters Fick vom 19.03.1948:

„Bescheinigung

Der Paul Otto Böttger, geb. am 21.12.1897 in Oberrengersdorf O./Lausitz, ist am 7. Juni 1927 als städt. Arbeiter bei der Stadt Dillenburg eingestellt worden. Seine Entlohnung erfolgte als ungelernter Arbeiter. Auf Grund eigener Angaben im Fragebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (RGBl. I, Seite 175) gehörte Böttger der SPD vom 1. Mai 1929 bis 30. April 1933 und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold vom 1. Januar 1932 bis Ende Februar 1933 als Mitglied an. In Anwendung der II. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 4. Mai 1933 in Verbindung mit den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen hat der Magistrat beschlossen, das Dienstverhältnis mit Böttger zu kündigen. Böttger hat gegen den Bescheid des Magistrats am 18. August 1933 das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Der Preussische Minister des Innern hat mit Erlass vom 2. August 1934 die Beschwerde Böttgers gegen die Kündigung seines Dienstverhältnisses abgewiesen.“

Im Anschluss daran versucht Böttger, Versorgungsansprüche beim Versorgungsamt Gießen anzumelden. Dieses erkennt zwar die Folgen der Brustverletzung im Ersten Weltkrieg an, ein Rheumatismusleiden, das er sich 1923 zugezogen hatte, jedoch nicht.

Dass die Entlassung Böttgers für die Stadtverwaltung Dillenburg offenbar von Nachteil war, erhellt eine Notiz vom 27. Juli 1934:

„1. In dem diesjährigen Haushaltsplan stehen Mittel für die Einstellung eines Gärtners nicht zur Verfügung. Die Einstellung eines Gärtners (ist) dringend, da seit der Pensionierung des Herrn Oberflurschützen Stunz und der Entlassung des Gärtners Böttcher kein Gärtner mehr bei der Stadt ist.“9

Am 1. November 1934 heißt es:

„3. Wie bekannt, konnte durch die Pensionierung des Oberflurschützen und Thielmann und die Entlassung des Gärtners Böttcher, die Unterhaltung der Anlagen, Wiesen und Obstanlagen nicht mehr so erfolgen wie früher, da Ax diese Arbeiten nicht allein fertig bringen kann.“10

Nach mehr als sieben Monaten Arbeitslosigkeit wird er ab dem 11. April 1934 als Gehilfe bei der Gärtnerei Otto Darr eingestellt. Diese Tätigkeit wird jedoch mehrfach durch Phasen der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Während eine Arbeit für die Stadt für Böttger nicht mehr möglich ist, erfolgt dennoch eine Ehrung aufgrund seiner Kriegsteilnahme durch Bürgermeister Josef Schimmel:

“Im Namen des Führers und Reichskanzlers
Dem Gärtner Paul Otto Böttger in Dillenburg ist auf Grund der Verordnung vom 13. Juli 1934 zur Erinnerung an den Weltkrieg 1914/18 das von dem Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer verliehen worden.

Dillenburg, den 24. Januar 1935
Der kom. Landrat
Dr. Heerdt”

Und weiter:

“Der Bürgermeister
Dillenburg, den 26. Januar 1935

Zur Überreichung des Ehrenkreuzes bitte ich Sie am Mittwoch, den 30. Januar 1935 abends 7 Uhr im Rathaussaal zu erscheinen.

Schimmel

An Otto Böttcher
Dillenburg
Marbachstraße 109″

Im Juli 1937 erhält der inzwischen 40-jährige die Nachricht, dass er zur Landwehr I gehört:

“Anlage 4
Wehrmeldeamt Dillenburg
Dillenburg, 1. Juli 1937

Benachrichtigung

Sie sind auf Grund des § 7 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 Wehrpflichtiger des Beurlaubtenstandes und gehören
Landwehr I an.
Sie unterliegen der Wehrüberwachung des Wehrmeldeamts Dillenburg.
Über die Pflichten, die Sie als Wehrpflichtiger des Beurlaubtenstandes haben, gibt das umstehende Merkblatt Auskunft.

Der Wehrbezirksoffizier
Unterschrift
Hauptmann (E)”

Nach kurzer Tätigkeit am Landgestüt mit anschließender Arbeitslosigkeit arbeitet Böttger ab dem 20.07.1935 für die Firma Henrich. Näheren Aufschluss über die finanzielle Situation der Familie liefert eine Art Haushaltsbuch, das für die Jahre 1938-1939 vorliegt.

Im folgenden Jahr, vom 8. Februar bis 3. August 1940 wird Böttger zur Wehrmacht eingezogen. Dort dient er beim Landesschützen Bataillon 606, 1. Kompanie.

Aufnahme des Landes-Schützen-Bataillons, 1940
4. Reihe von oben, 2. von links: Gefreiter Otto Böttger (Privatsammlung Clös)

Otto Böttger mit Gattin Auguste, geb. Roth in Harleshausen, 1941 (Privatsammlung Clös)

Ab August 1940 bittet er mehrfach um eine Wiedereinberufung,11 die aber abgelehnt wird, da er bei der Firma Franz Henrich als unabkömmlich eingestuft wird. Schließlich wird er doch am 29.05.1941 nach Heckershausen eingezogen und später nach Harleshausen versetzt. Eingesetzt wird er dann ab Juli in einem Küchenwagen der Eisenbahn im damaligen Jugoslawien. Später folgen Fahrten durch die von den Deutschen besetzten Teile Europas. Aus dieser Zeit sind noch mehrere Postanweisungen überliefert, in denen er Geld an seine Gattin in die Heimat überweist. Von verschiedenen Orten schickt er mehr als 60 Päckchen nach Dillenburg, deren Inhalt er in einer Art Tagebuch genau aufzeichnet. Absendeorte sind Agram (Zagreb), Breslau, Lorient, Maastricht, Königsberg und schließlich Oslo.

Otto Böttger mit Kameraden vor dem Küchenwagen, ohne Datum (Privatsammlung Clös)

Er listet den zeitlichen Ablauf einiger dieser Fahrten zum Teil sehr genau auf. Bemerkenswert ist hier der Eintrag vom März 1944:

„Ab 16.3. ab Strehlen über Kammenz, Auschwitz u. Krakau an am 17.3. um 10.30 Uhr.“

Obwohl die angegebene Bahnlinie in Sichtweite des Lagers vorbeiführt, gibt Böttger jedoch keine näheren Informationen. Es ist nicht ersichtlich, ob dabei Häftlinge in das Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert wurden. Dies ist unwahrscheinlich, da es sich um einen Militärzug handelte. An diesem Tag wurden lediglich drei Häftlinge aus Kattowitz eingeliefert.12

Böttgers Tagebuch endet mit einem Eintrag über die Rückkehr nach Aschaffenburg am 4.8.1944. Dorthin war die Abteilung zwischenzeitlich verlegt worden. Er wird anschließend in eine Heeres-Flakabteilung nach Wahlwinkel bei Gotha versetzt.

Ab Ende 1944 geben mehrere Feldpostbriefe Auskunft über seinen Kriegseinsatz. So schreibt er am 6.1.1945 (originale Schreibweise beibehalten):

“Meine liebe gute Frau!

Endlich komme ich dazu, dir ein paar Zeilen zu schreiben. Wir sind hier gut gelandet nach langer Fahrt, drei Nächte waren wir unterwegs. Wir hatten es aber hübsch warm im Wagen, nur war es etwas eng, aber auch da hatten wir uns ganz schnell eingelebt. Hier liegen wir nun im Massenquartier auf Stroh mit 17 Mann in einer Stube. Tische und Stühle haben wir keine, ich schreibe auf einem Pappdeckel als Unterlage dient mir mein Knie. Ja es ist hier kein Vergleich mit Wahlwinkel, ach nur wären wir alle noch so gern dageblieben, wo wir ja nun doch nicht zum Einsatz gekommen sind. Wenn auch des abends das Bett kalt war, aber es war dann umso wärmer. Ach wenn du das gewußt hättest, da wärst du doch eher gekommen nicht war. Nun ja ich trage ja auch meine Schuld selbst mit weil ich dir nicht die Nachricht geschickt hatte. Nun wir wollen alles gute hoffen, hoffentlich wird es nicht so sehr kalt, daher habe ich dir nichts gesagt.

Nun bis du den Brief hier erhältst wer weiß ob wir da noch hier sind. Ich werde dir jeden dritten Tag schreiben, wo wir uns befinden kann ich dir leider nicht schreiben. Hier kann ich dir nur mitteilen, wir sind noch in Deutschland, aber hier herrschen schon ziemlich polnische Zustände. Ja es gibt doch nur eine Heimat und das ist die geliebte Wohnung in Dillenburg bei meinem lieben Frauchen. Hoffentlich geht der Brief bald zu Ende mit dem Krieg, also ich meine wenn du den Brief erhältst müßte doch der Krieg zu Ende sein. Aber wir müssen wohl noch etwas warten. Nun komme ich zum Schluß und wünsche dir weiter alles gute, bleibe hübsch gesund und wohlauf. 1000 herzliche Grüße und Küsse sendet dir dein lieber guter Mann. Liebe Grüße an die liebe Oma, an alle Roths, an Kathrinchen, an Andrease und alle alle. Brief No. 1. Nochmals herzliche Grüße und Küsse dein Otto.”

Der letzte erhaltene Feldpostbrief stammt vom 10.1.1945 (originale Schreibweise beibehalten):

“Abs. Uffz. Böttger, Feldpost No. 65225 B
A., d. 10.1.45

Meine liebste gute Frau!

Heute erhielt ich Deinen Brief vom 20.12. von Wahlwinkel nachgeschickt. Am ersten Tag wo wie hierher kamen, hatten wir Tauwetter, aber am anderen Tag war es schon wieder kalt und heute schneit es und der Wind pfeift über die Felder. Wo wir hier liegen, sind nur einzelne Gehöfte und weiter Weg ein kleines Dorf. Wir sind aber noch in Deutschland N. O. [= Nord-Osten]

Ich denke jeden Tag an dich, wo du dich befinden magst. Am meisten denke ich daß du noch in Wahlwinkel bist, aber ich schicke die Post nach Dillenburg, denn die Post läuft doch eine ganze Zeit. Wir sind hier natürlich nicht so untergebracht wie in Wahlwinkel, und zu essen bekommen wir nur noch aus der Feldküche. Das Essen ist aber besser geworden wie es in Wahlwinkel war, doch lies es manchmal viel zu wünschen übrig. Ich werde aber immer an die lieben Leute in Wahlwinkel denken, vor allem an die Familie Ratzmann, die ja sehr viel an mir getan haben. Gerade habe ich Mittag gegessen, es gab Erbsensuppe. Es gibt jetzt nur Eintopf, denn in der Feldküche kann man nicht für soviel Mann kochen ich meine jeder einzeln.

Nun mein liebes Mädel, wie geht es dir denn noch, ich hoffe doch recht gut, ich kann von mir noch gutes schreiben, vor allen was Gesundheit anbetrifft.
Ich bin nun nur gespannt, wo wir endgüldig eingesetzt werden. Nun wir wollen alles gute hoffen. Möge uns das neue Jahr den langersehnten Frieden bringen. Nun für heute will ich schließen, 1000 herzliche Grüße und Küsse sendet dir dein lieber guter Mann. Viele Grüße an alle.”

Am 21.1.1945 stirbt er. Die Umstände seines Todes, die bis 1952 ungewiss sind, werden in einem Brief an Carl Paul Roth vom 20.11.1952 von einem Kameraden Böttgers, Walter Weichler aus Essen, beschrieben (originale Schreibweise beibehalten):

“Ich kann eidesstattlich erklären das er tatsächlich gefallen ist. Dieses hatte ich 1948 schon beim Roten Kreuz, Hersfeld gemeldet. Wir waren mit 34 Mann, darunter auch Unteroffz. Böttger, Feldwebel Heine bei einem Durchbruch von Neumark zum Westen, nähere Ortsbezeichnung kann ich nicht nennen weil alles drunter und drüber ging und zudem noch Nacht war; wir wurden noch mit 11 Mann gefangengenommen. Wir wurden gestellt durch mongolische Panzer zur Übergabe, es wäre alles gut gegangen, wo wir uns schon ergeben hatten. Feldwebel Heine gab uns bekannt, wir sollten die Waffen niederlegen, da alles zwecklos wäre.

Die Russen kamen an uns heran im Umkreis von 3-4 Meter und verlangten von uns durch Dolmetscher das Unteroffiziere und Feldwebel heraus treten sollten, und sie traten aus den Reihen raus, und wurden dann sofort durch Genickschuss erschossen. Ich stand 3-4 Meter davon ab. Wie wir das gesehen haben, ging es noch im Nahkampf über, weil wir jetzt dachten, wir kommen alle dran, die Russen schossen auf uns und schlugen mit den Kolben auf uns. So sind wir noch mit 11 Mann teilweise verwundet in die Gefangenschaft gegangen. Wo nun Unteroffz. Böttger und Feldwebel Heine begraben liegen das kann ich nicht sagen es war ungefähr 4-5 Kilometer westlich Neumark. Von den anderen Vermissten kann ich nichts näheres sagen. Ich bin selbst noch 4 Jahre in Gefangenschaft gewesen, aber von meiner Einheit habe ich niemand mehr getroffen.”

Ein offizielles Schreiben über Böttgers Tod in Westpreußen geht der Gattin erst im November 1953 zu, sie lebt also jahrelang in Ungewissheit über das Schicksal ihres Ehemanns. Seit 1948 versucht die Familie, Unterstützung zu erhalten aufgrund des Gesetzes zur Wiedergutmachung nazistischen Unrechts. Von der Stadt Dillenburg erhält Auguste Böttger seit 1951 eine monatliche Zusatzrente von 50 DM. Ein endgültiges Urteil des Regierungspräsidenten ergeht erst im Dezember 1955. Es spricht Auguste Böttger einen Wiedergutmachungsbetrag von 933,56 DM zu, der sich aus der Zeit der Arbeitslosigkeit Böttgers errechnet.

Böttger war wie mehrere Hundert andere Dillenburger nicht nur Opfer des Krieges, sondern erlitt auch Repressalien aufgrund seiner politischen Haltung. Einige weitere Opfer der Verfolgung sind inzwischen durch Beiträge in den Dillenburger Blättern bekannt, eine völlige Aufarbeitung ist aber noch nicht erfolgt. Auch Opfer von „Euthanasie“-Maßnahmen und Zwangsarbeit in der NS-Zeit warten noch darauf, einer angemessenen Untersuchung unterzogen zu werden.


Archivquellen

Stadtarchiv Dillenburg

  • A 1 (Akten der Stadt vor 1950)
  • B 4 (Melderegister)

Privatsammlung Clös

  • Fotos
  • Private Dokumente

Die (hier nicht weiter benutzte) Akte über das Wiedergutmachungsverfahren findet sich im Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 518, Nr. 12951.


 

  1. Wenn nicht anders angegeben, stammen die im Text zitierten Dokumente aus dieser Privatsammlung. []
  2. StadtA DIL, B 4, Nr. 37. []
  3. StadtA DIL, A 1, Nr. 198, Bl. 107, 108. Der Antrag wurde vom Magistrat genehmigt, vgl. ebd., Bl. 115. []
  4. StadtA DIL, A 1, Nr. 486 (Wahl und Zusammensetzung der Stadtverordneten-Versammlung), Bl. 89/90. []
  5. 110 Jahre SPD-Ortsverein Dillenburg 1905-2015. Festschrift zum 110-jährigen Jubiläum des SPD-Ortsvereins Dillenburg, Dillenburg 2015, S. 21. []
  6. StadtA DIL, A 1, Nr. 983, Bl. 130/2. []
  7. StadtA DIL, A 1, Nr. 983, Bl. 128. []
  8. StadtA DIL, A 1, Nr. 662, Bl. 185. []
  9. StadtA DIL, A 1, Nr. 1052, Bl.12. []
  10. StadtA DIL, A 1, Nr. 1052, Bl. 57. []
  11. Das Motiv für seinen Wunsch nach Wiedereinberufung ist unklar. Dies mag einerseits in der Behandlung durch Dillenburger Nationalsozialisten liegen, andererseits im Wunsch nach Kameradschaft, die er in Dillenburg vermisst. []
  12. Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, Reinbek bei Hamburg 2008, S. 740. []

OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Heinz-Georg Clös (6. Mai 2025). Otto Böttger – Entlassen auf Grund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von 1933. Dillenburger Geschichtsblog. Abgerufen am 15. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13v8n


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